Wandern Alexandra Baumann
5. Januar 2025

Von (unerreichten) Zielen und vom Wandern

2021 schrieb ich eine lange Liste von Jahreszielen und teilte diese öffentlich. Warum Ziele unglücklich machen können, was sich seither an meiner Einstellung „Zielen“ gegenüber veränderte und weshalb oft der Weg das Ziel ist.

Anfangs Januar: DIE Phase des Jahres, in welchem wir uns Dinge vornehmen und Ziele setzen. Ich erinnere mich noch, als ob es gestern gewesen wäre, als ich zum ersten Mal einem grösseren „Publikum“ eines meiner Fitnessziele mitteilte: Es war im Febuar 2012, als ich meinen damaligen Blog „Run Couchpotatoes Run“ lancierte und im ersten Beitrag schrieb, dass ich am 1. Mai desselbigen Jahres einen 5 Kilometer-Lauf absolvieren möchte.

Es war der Beginn einer Lebensphase, in welcher ich mir immer wieder neue Ziele zu setzen begann. Spannend waren auch immer wieder die Reaktionen, welche das öffentlich machen meiner Ziele auslösten. Oft wurde ich als „mutig“ bezeichnet, manchmal als „verrückt“, „ehrgeizig“ und „bewundernswert“ waren ebenfalls Adjektive, welche genannt wurden. Ich nutzte das öffentlich machen meiner Ziele via Blog und Social Media damals vor allem als Motivations-Treibstoff: Dass so viele Menschen mitlasen, liess für mich kein Hintertürchen offen, bei auftretender Unlust mein Laufziel wieder aus den Augen zu lassen und das Training abzubrechen.

Im Jahr 2017 machte ich einen nächsten Schritt: Ich träumte davon, eines Tages auf die Rigi hochzulaufen, 1’400 Höhenmeter von Weggis bis Rigi Kulm und verkündigte diesen Traum kurz darauf im Outdoor-Blog des Tages-Anzeigers. Ein Entscheid, der eine Welle von Konsequenzen nach sich zog. Ich erhielt massiven Gegenwind – und auch ganz viel Unterstützung. Unter anderem von Steve Husistein, der mich seither als Coach begleitet. Er war es auch, der im Jahr 2019 mit mir zusammen die Rigi hochging und der mein Mindset in Sachen „Zielen“ nachhaltig verändert hat.

Ich erinnere mich daran, wie mir Steve damals immer wieder sagte, es sei zwar klar ein Ziel von ihm, dass ich gesund auf der Rigi ankomme – noch wichtiger sei für ihn jedoch, dass ich Freude am bewegen und trainieren entwickle und diese Freude weit über das Erreichen des Gipfels mitnehmen werde.

Und, was ist dein nächstes Ziel?

Nach der Rigi ging es gefühlte 2.5 Sekunden, bis mich die erste Person fragte, was denn nun mein nächstes Ziel sei. Damals liess ich mich davon ziemlich unter Druck setzen. Ich wusste, ich hatte etwas für mich wirklich grossartiges erreicht – gleichzeitig bin ich auch eine Person, die dann sofort gerne noch MEHR erreichen will. Dies führte dazu, dass ich nach dem Aufstieg in ein mentales Loch fiel und es schwierig fand, ein neues Ziel zu finden, welches mein Herz so sehr in Flammen setzte, dass ich es unbedingt erreichen wollte. Spoiler: Ich hatte bis vor kurzem nie wieder ein vergleichbares Ziel finden können….

Mit der Brechstange auf den Klettersteig

Meine nächste Zielverkündigung war dann noch öffentlicher, noch verrückter: In der SRF-Doku „Jeder Körper darf grossartig sein“ erzählte ich Mona Vetsch davon, dass ich einmal auf einen Klettersteig möchte. Und zeigte ihr die Liste all meiner Ziele für das Jahr 2021 – sie war lange und sie war ehrgeizig. Sie widerspiegelte sehr klar, wie ich damals mit mir unterwegs war: Ich wollte mir so sehr beweisen, dass ich den Biss, die Ausdauer und den Willen hatte, mehrere wirklich grosse Ziele parallel zu erreichen. Auch hier ein kleiner Spoiler: Es gelang mir nicht… und auf der Zielliste von damals stehen Dinge drauf, die ich bis heute nicht erreicht habe, so zum Beispiel, mal Stand-Up Paddling auszuprobieren.

Doch den Klettersteig, den schaffte ich. Mit Steves Unterstützung. Und mit der Brechstange. Denn es war ein Ziel, welches mir irgendwann keine Freude mehr machte. Welches mich weder fürs Training motivierte, noch Freuden-Flämmchen in mir anzündete. Und auch heute – gut 3 Jahre später – schaue ich das Video dieses Tages an und weiss noch ganz genau, wie es sich anfühlte. Sowohl unterwegs (ich verfluchte mich immer wieder selber!) aber auch oben – lasst euch vom vermeintlich erfreuten „Gipfelfoto“ nicht täuschen: Ich war fixfertig und dachte nur: Mist, ich muss diesen sch****-Klettersteig nochmals machen. Mit dem Kamerateam. Das Schicksal wollte es dann anders und ich brach mir vor den geplanten Dreharbeiten auf der Chilbi den Arm… das musste wohl so sein und heute sage ich euch eines mit fast 😉 100%iger Sicherheit: Dies war das erste und das letzte Mal, dass ich einen Klettersteig absolvierte.

Warum, zum Geier, hast du so viele deiner Ziele so öffentlich gemacht?

Als ich den Blog „Run Couchpotatoes Run“ startete mit meinem angestrebten Ziel, ein paar Monate einen Lauf zu absolvieren, hatte ich NULL Vorstellung davon, was ich damit lostreten würde. Ich ging nicht davon aus, dass dies „da draussen in der Welt“ Interesse generieren könnte. Ein paar Wochen später schrieb ich eine Zeitungskolumne über unsere Laufvorbereitungen, Fachmedien wurden auf unseren Weg aufmerksam und unsere Social Media Followerschaft wuchs stetig. Ich erhielt Franzbranntwein per Post, gute Trainingstipps in meiner Inbox, wurde bei meinen Läufen im Wald auf das Projekt angesprochen und bemerkte zum ersten Mal die Wechselwirkung, die mein öffentlich machen dieses Projektes nach sich zog: Ich durfte andere Menschen damit inspirieren, sich ebenfalls vom Sofa zu erheben – und ich bekam im Gegenzug so viel wertvolles von diesen Menschen retour, in Formen von ermutigenden Worten, aber auch in einer Verbindlichkeit, die ich ohne diese Öffentlichkeit nicht gehabt hätte.

Ähnlich war es bei der Rigi und beim Klettersteig: Es gab so viele Menschen, welche diese zähen Vorhaben begleiteten und mich immer wieder ermutigten. Ich hätte bei diesen Projekten mehr als einmal aufgeben können. Ich zog sie nicht nur durch, weil ich einen unglaublich sturen Kopf habe, sondern zugegebenermassen auch, weil ich in der Öffentlichkeit nicht mein Gesicht verlieren wollte. Und mich auch sehr freute, wenn ich andere Menschen mit meinem Weg inspirieren konnte. Noch heute erhalte ich ab und zu Wanderbilder und Bilder von der Rigi, weil ich andere zum wandern und unterwegs sein animieren konnte. Als ich kürzlich in mich reinhorchte, merkte ich: Genau das möchte ich in den Menschen auslösen können. Gleichzeitig weiss ich heute: Ich kann nur dann andere inspirieren und motivieren, wenn ich mit mir selbst gut unterwegs bin und mir realistische Ziele setze, die bei mir ein Freuden-Flämmchen auslösen.

Und jetzt?

Seit der Ausstrahlung der Doku mit Mona hat sich viel für mich verändert. Ich durchlebte eine ziemlich ziellose Phase in meinem Leben. Nicht, weil ich mir keine Ziele setzte. Sondern vielmehr, weil ich mir immer wieder Dinge vornahm – und dann kam das Leben in seiner ganzen Heftigkeit dazwischen. Ab und zu erreichen mich immer noch Nachrichten, in welchen mich Menschen fragen, welche neuen Ziele ich denn nun nach der Rigi und dem Klettersteig habe…. ich hatte lange keine Antwort darauf.

Bis im Herbst 2024 beim Wandern der Samen für eine „neue“ Idee gesetzt wurde. Neu in Anführungszeichen, da die Idee schon länger in mir schlummert und ich mich auch immer wieder damit auseinandersetzte. Doch konkret verfolgt habe ich das Thema nie. Weil ich andere Prioritäten hatte. Weil ich dann doch wieder zuwenig dafür brannte. Weil ich viel Respekt davor entwickelte, überhaupt wieder ein Ziel in Angriff zu nehmen. Und schon gar kein Interesse mehr daran hatte, irgendein Ziel öffentlich zu verkündigen und dann wieder in die Situation zu kommen, in welcher ich fand „Jetzt hast du A gesagt, jetzt muss du auch B sagen“ – ein Glaubenssatz, der mich mein Leben lang schon begleitet und den ich so langsam, aber sicher loslassen möchte. Darum war ich defensiv, was das vornehmen eines neuen Zieles anging und noch defensiver, ein derartiges Projekt nochmals öffentlich zu machen.

Ziele beeinträchtigen das Glück

Als ich vor ein paar Tagen im Buch „Die 1% Methode“ über diese Aussage des Bestseller-Autors James Clear stolperte, musste ich den Satz gleich ein paarmal lesen. Ziele sollen das Glück beeinträchtigen? Hä? Doch als ich weiter liess und Clears Beschreibungen von DEM Gefühl las, welches er immer wieder nach der Erreichung eines Zieles hatte, musste ich zugeben: Genau so ging es mir auch oft. Ich erlebte – wie oben beschrieben – diese Leere, dieses „Loch“, das entstand, wenn ein grosses Ziel erreicht war. Nach der Rigi befand ich mich zwar noch ein paar Tage im Hoch, doch der Absturz folgte bald und mit ihm die Frage „Und was mache ich als nächstes?“ Und wenn schon ein erfülltes Ziel „unglücklich“ machen kann, was geschieht dann erst mit unerfüllten Zielen? Ihr könnt es euch vorstellen und/oder kennt das vielleicht auch aus eigener Erfahrung.

Clear beschreibt in seinem Buch – deckungsgleich mit dem, was mir Steve immer wieder sagte – sehr spannend, dass es hilft, wenn wir statt in ein „Produkt“ (Beispiel: Ich will auf die Rigi wandern) lieber in ein „System“ (Beispiel: Ich werde eine Person, die regelmässig mit Freude wandern geht und auch mal eine anspruchsvollere Tour machen kann. Dafür bewege ich mich regelmässig und in der dafür notwendigen und angemessenen Trainings-Intensität) investieren. Das ging sehr in Resonanz mit mir und ich begann mir zu überlegen, was ein nächstes sinnvolles Ziel für mich sein könnte, das mich dazu motiviert, ein entsprechendes System aufzubauen. Und es gibt da etwas, das reizt mich schon sehr lange und es wäre ein tolles Projekt, bei welchem ich euch als Leser:innen „mitnehmen“ könnte…

Was mein nächstes Ziel ist? Ich verrate es euch…. noch nicht 😉

Dieser Beitrag hat den ursprünglich angedachten Rahmen inhaltlich definitiv gesprengt. Mehr zu meinen nächsten Zielen und Ideen gibt’s darum erst im nächsten Blogpost. Wie du sicher sein kannst, diesen nicht zu verpassen? Indem du meine Blogbeiträge mit dem untenstehenden Formular abonnierst und sie direkt in eine Inbox erhältst. Ich freue mich, wenn du mitliest und vielleicht auch gedanklich mit mir mit-wandern wirst.

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